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Konflikte zwischen Hochwasserschutz und Naturschutz in Sachsen

Sachsen war als einziges Bundesland in den letzten zehn Jahren nahezu flächendeckend von Hochwasserereignissen betroffen. Seit der Elbeflut 2002 lässt das Thema Hochwasser die Menschen nicht mehr los. Der Freistaat hat in dieser Zeit mit großer Intensität den Hochwasserschutz vorangetrieben und investiert Milliardensummen. Nicht selten gerät der technische Hochwasserschutz in Konflikt mit Zielen von Gewässer- und Naturschutz. Die GRÜNE LIGA widmete diesem Thema im November 2012 ein ganztägiges Seminar in Dresden, bei dem eine Reihe von kritischen Fällen thematisiert wurde.

Zur sächsischen Hochwasserschutz-Strategie zählen u.a. die Verbesserung der Informations- und Warnsysteme mit online abrufbaren Wasserständen und Durchflüssen, die enge Zusammenarbeit mit Tschechien und die Einrichtung von Wasserwehren in nahezu allen Kommunen. Landesweit sind 347 Überschwemmungsgebiete festgesetzt, die entlang von 3.800 Flusskilometern insgesamt 65.000 Hektar umfassen. Zwischen 2002 und 2005 wurden landesweit insgesamt 47 Hochwasserschutzkonzepte erarbeitet. Das Investitionsvolumen für die Umsetzung der geplanten Maßnahmen beträgt annähernd zwei Milliarden Euro.

Hochwasserdynamik naturnaher Gewässer

Kleinere Hochwasser beeinflussen Uferstrukturen und lagern innerhalb des Flussbettes Geschiebe um. Die Kraft von größeren Hochwasserereignissen gestaltet die Landschaft, bricht Ufer am Steilhang ab, spült Kolke aus, schüttet Kies-, Sand- und Schlammbänke auf, verlagert Flüsse und lässt neue Altwässer entstehen. Ohne die prägende Strömungsdynamik bleiben Erosion und Umlagerung von Sediment aus, typische Pionierlebensräume verschwinden.

Beim Hochwasser der Elbe und ihrer Nebenflüsse im Jahre 2002 entstand – neben den immensen Schäden an Häusern, Straßen und Infrastruktur – auch eine Vielzahl naturnaher Strukturen in Sachsens Flüssen. Nach der Elbeflut bestand an zahlreichen sächsischen Gewässern durchaus die Chance, Flächen für derartige Strukturen zu sichern. Sie wurde weitgehend vertan, die meisten der neuen Strukturelemente "repariert" oder noch naturferner als vor dem Hochwasser verbaut.

Auch bei den seither aufgetretenen Hochwassern lief es oft nicht besser. Entlang der Neuen Luppe, dem bedeutendsten Auenbereich im Nordwesten Leipzigs, wurden nach einem Hochwasserereignis im Januar 2011 auf 30 ha Fläche mehr als 6.500 Bäume an und auf den Deichen gefällt, darunter auch über 200 Jahre alte Eichen. Auch die begleitende Neuanlage von Deichverteidigungswegen sowie die abschnittsweise Neudimensionierung der Deiche wurde ohne förmliches Verfahren und ohne Beteiligung der Öffentlichkeit durchgeführt. In der Nordwestaue liegt das Gebiet mit hohem Potential für Deichrückbau und Wiedervernässung. Die 2011 realisierten Maßnahmen schneiden den Auwald dauerhaft von der natürlichen Überflutungsdynamik des Flusses ab.

Wasserrückhalt in der Fläche – ein unterbelichtetes Handlungsfeld?

Als einziges Bundesland hat Sachsen im Wassergesetz Regelungen zu Hochwasserentstehungsgebieten vorgenommen (§100b SächsWG), die den Bau neuer Straßen, bauliche Anlagen und Versiegelungen im Außenbereich (ab 1.000m²) sowie die Umwandlung von Grünland und Wald in Ackerland unter den Genehmigungsvorbehalt der Wasserbehörden stellen. Eine Reihe von Agrarumweltmaßnahmen leistet auch einen Beitrag zur Erhöhung der Infiltration und zum Wasserrückhalt in der Fläche. Gerade die Rolle der landwirtschaftlichen Flächen in Hochwasserentstehungsgebieten ist aber ein bedeutender Streitpunkt. Die großflächigen Dränagen auf den Ackerflächen sowie zerstörte Quellbereiche und kleinflächige Feuchtlebensräume werden im Rahmen der Hochwasserstrategie nicht adressiert.

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Neue Rückhaltebecken gefährden FFH-Gebiete

Die Gefährdung von Natura 2000-Gebieten an Gewässern illustriert der Konflikt an der Bobritzsch, die als einziger weitgehend naturnaher, unverbauter Flusslauf ohne Abflussregulierung im Erzgebirge gilt. Zwei geplante Rückhaltebecken drohen hier das Abflussregime zu überformen, da bereits bei für häufige Ereignisse (HQ5 bzw. HQ2) ein Einstau vorgenommen werden soll. Einige vom Naturschutzverband Sachsen e.V. erworbene Flächen im Oberlauf, die seit den 1990er Jahren durch zahlreiche Maßnahmen ökologisch aufgewertet wurden, liegen im geplanten Einstaubereich des Beckens bei Oberbobritzsch. Die Ziele einer naturnahen Gewässer- und Auendynamik sowie der Durchgängigkeit, die für die Meldung des Natura 2000-Gebietes maßgeblich waren, wurden als Begriffe nicht in die Anfang 2011 in Kraft getretene Grundschutzverordnung für das Gebiet aufgenommen und waren daher nicht mehr Gegenstand der Prüfung im Planfeststellungsverfahren.

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Öffentlichkeitsbeteiligung einfordern

Die Planung einer 2,10m hohen, den Blick auf die Elbe versperrenden Hochwasserschutzmauer im Dresdner Stadtteil Laubegast rief Kritik in der Bevölkerung hervor, die in der Gründung einer Bügerinitiative mündete. Letztlich wurden in einem aufwändigen, professionell moderierten Beteiligungsverfahren mehrere Werkstatttreffen, Diskussionsabende und Bürgerbefragungen durchgeführt, die den Weg für eine kompromissfähige Alternative zur Ufermauer ebneten. Noch offen ist allerdings, inwieweit diese Lösungen beim weiteren Planungsfortschritt berücksichtigt werden.

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Potentiale für Deichrückverlegungen nutzen

Die sächsische Regierung hatte 2010 eine Kulisse von 7.500 ha für Deichrückverlegungen und Schaffung von Flutungspoldern vorgeschlagen, die sich auf 49 Maßnahmen verteilen. Aus der Antwort der Landesregierung vom August 2012 auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen geht jedoch hervor, dass nur noch 34 Maßnahmen mit etwa 5.000 Hektar Überschwemmungsfläche verfolgt werden, davon überwiegend ökologisch weit weniger günstige Polderlösungen. Realisiert wurden seit 2002 erst zwei Maßnahmen mit zusammen 111 Hektar – dies entspricht lediglich 1,5 Prozent der ursprünglich avisierten neuen Überschwemmungsflächen.

Das WWF-Aueninstitut kritisiert in seiner 2012 von der Landtagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen in Auftrag gegebene Studie zur ökologischen Überprüfung der Hochwasserschutzstrategie des Freistaates Sachsen: "Die langfristige Festlegung der Überflutungsverhältnisse in den Altauen durch die gewaltigen Investitionen in die Hochwasserschutzkonzepte muss vor der Umsetzungsplanung auf landesweiter Ebene durch eine umfassende naturschutzfachliche Planung begleitet werden." Bislang sei "keinerlei ökologische Beurteilung der mittelbaren und unmittelbaren Auswirkungen der Maßnahmen zu finden".

Aktuell sind an Sachsens Flüssen zwei Drittel der Auen durch Deiche abgetrennt. In der Studie wurden 34 Vorschlagsflächen für Deichrückverlegungen ermittelt, die insgesamt 9.430 ha umfassen und die bestehende Deichlinie um ca. 23 km verkürzen würden.

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Die GRÜNE LIGA begrüßt richtungsweisenden Erlass zum Hochwasserschutz in Sachsen

Mit dem Erlass vom 12. Juli 2013 verfügt das Sächsische Staatsministerium für Umwelt und Landwirtschaft, dass die Beseitigung von Hochwasserschäden in "nachhaltiger" Weise zu erfolgen hat, damit diese Schäden bei zukünftigen Hochwassern nicht in dem gleichen Ausmaß entstehen. Dabei ist es geradezu revolutionär, wie das Ministerium diese nachhaltige Schadensbeseitigung definiert:

  • Veränderte Gewässerbetten sind in ihrem durch das Hochwasser geschaffenen Zustand zu erhalten, Ufermauern sind nicht wiederherzustellen

  • In Gewässerrandstreifen sind abflusshindernde Strukturen und Anlagen ebenfalls nicht wiederherzustellen

  • Anlagen in, an, unter und über oberirdischen Gewässern, die zur Verschärfung der Hochwassersituation beigetragen haben, dürfen allenfalls in hochwasserangepasster Form wiederhergestellt werden

  • Bei öffentlichen Hochwasserschutzanlagen sind Alternativen zu einer 1:1 Wiederherstellung zu püfen

  • In überschwemmungsgefährdeten Gebieten sollten bauliche Anlagen nur risikoangepasst wiederhergestellt werden

Auch wenn diese Forderungen im Detail Ausnahmeregelungen enthalten, sind sie doch ein Bruch mit der bisherigen Hochwasserschutzpolitik im Freistaat Sachsen. Nach der großen Flut 2002 investierte der Freistaat mehrere hundert Millionen Euro in den Hochwasserschutz. Dieses Investitionsprogramm ist noch nicht abgeschlossen und wird am Ende ein Finanzvolumen von über einer Milliarde Euro haben. Laut Auskunft der Landesregierung flossen bisher mehr als 99 Prozent dieser Gelder in Anlagen des technischen Hochwasserschutzes, sprich Ufermauern, höhere Dämme, große Wasserspeicher, Reparaturen an Wehranlagen – alles Maßnahmen, die die Flüsse weiter einengen und letztendlich die Hochwassergefahren verschärfen.

Die GRÜNE LIGA wirbt gemeinsam mit anderen sächsischen Naturschutzverbänden seit 2002 für einen Hochwasserschutz, der den Flüssen mehr Raum gibt, der den Wasserrückhalt in der Fläche stärkt und der Quer- und Längsverbauungen aus den sächsischen Flüssen entfernt. Jörg Urban, Geschäftsführer: "Ein solcher Hochwasserschutz würde gleichzeitig die sächsischen Flüsse als Vernetzungsbiotope stärken. Flüsse sind die Adern der Natur – mit ihren Gewässerkörpern und Flussauen verbinden sie verschiedene Landschafträume und Biotope. Aus genau diesem Grund sind fast alle sächsischen Flüsse Teil des Schutzgebietsnetzwerkes NATURA 2000."

Der aktuelle "Wiederaufbau-Erlass" eröffnet Möglichkeiten, zerstörte Längs- und Querverbauungen aus den Flüssen zu entfernen. Bei einer konsequenten Umsetzung dieser "Nachhaltigen Beseitigung von Hochwasserschäden" hätte Staatsminister Kupfer für den Hochwasserschutz und für den Naturschutz in Sachsen mehr erreicht als alle seine Vorgänger. Die GRÜNE LIGA wird die Umsetzung des Erlasses auf Landkreisebene begleiten, damit nicht ein Großteil der Chancen in den Verwaltungsebenen verpufft.

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